Genussirrtümer unserer Zeit - Fleisch vom Jungbullen
Man stelle sich vor, man stehe vor der Fleischtheke und da strahlt einem ein saftig rotes Stück Rindfleisch entgegen. Und dann sogar noch vom Jungbullen. Und dann auch noch zu einem unglaublich günstigen Preis. Perfekt! Jackpot! Aber schmeckt das auch?
Die größten Lügen im Supermarkt lauern tatsächlich an der Fleischtheke. Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland sind mittlerweile zum größten Teil darin geschult, automatisch zu geschmacklosem Fleisch zu greifen.
Kriterien:
- Farbe (bitte schön rot)
- Fett (bloß nicht zu viel weiße Fäden) und
- Preis (herrlich günstig).
Doch wer Fleisch nach diesen Kriterien einkauft, verpasst was. Und das ist Geschmack!
Die Jungbullen-Lüge
Wie oft sieht man groß und am besten noch in Leuchtreklame mit zusätzlichem Neon-Scheinwerfer die große Verheißung auf der Fleischverpackung: „Vom Jungbulle”. Was setzt das nur für Assoziationen bei uns frei?: frisches Fleisch, gesundes Tier, zart und herrlich im Geschmack. Nur leider trifft das nicht ganz den Kern der Sache, denn die Fakten sehen so aus: Jungbullen besitzen aufgrund ihres Alters von Natur aus nur sehr wenig bzw. auch gar kein intramuskuläres Fett. Fett wiederum ist aber ein wichtiger Geschmacksvermittler. Es ist die Voraussetzung dafür, dass sich der Geschmack des Fleisches entfalten kann und dadurch auch beim Verbraucher ankommt. Fett ist nicht das personifizierte Böse, sondern bewirkt, dass das Fleisch zart und saftig ist. Schließlich schmalzen beim Braten die kleinen Äderchen und bilden kleine, flüssige Gel-Einschlüsse. Fehlt das, kommt meistens immer das gleiche Resultat heraus: fades, trockenes, mürbes und auch säuerliches Fleisch.Und das kann nicht schmecken.
Natürlich ist Rind nicht gleich Rind. Einige Rassen besitzen von Natur aus mehr Fett - auch schon in jungen Jahren. Dazu zählen beispielsweise Kobe und Wagyu. Doch an der Discounter- Fleischtheke sucht man diese vergeblich. Dort findet man eher das Simmentaler Rind, welches von Natur aus nicht mit Fett gesegnet ist. Hier fehlt beim Jungbullen die Marmorierung, die erst das Qualitätssiegel eines Fleisches ausmacht. Oder für Mathematiker ausgedrückt: (1x Magere Rasse) + (1x junges Alter) = !!! 0 Geschmack !!! Der Grund, warum so viel junges Fleisch in der Theke landet, ist ein rein ökonomischer. Landwirte können es sich oftmals nicht leisten, ein Tier über viele Jahre auf der Weide zu halten, was nicht einmal Milch als Gegenleistung gibt. Stattdessen bedeutet es nur Arbeitsaufwand, Futterkosten und Auslauf - Investitionen, die sich für viele Landbetriebe nicht mehr lohnen. Dann heißt lieber die Devise: schnell aufzüchten, hochmästen und zerlegen, sodass wir wieder Platz für neue Tiere haben. Unser Markt ist überflutet mit schnellen Schlachtobjekten, die dadurch zwar weniger Kosten… die dadurch aber auch weniger schmecken.
Eile mit Weile
Gutes Fleisch mit Charakter und Geschmack braucht Zeit, keine Hetze. Im Baskenland in Spanien ist man mittlerweile sogar soweit und vermarktet alte Milchkühe als Delikatesse. Fleisch von einer alten Kuh? Das hat beim Ottonormalverbraucher noch so einen faden Nachgeschmack. Tatsächlich ist es aber deutlich besser. Alter bedeutet Reifung am lebenden Knochen und das bedeutet wiederum mehr Fettgewebe. Nicht jedes altes Tier ist gleich zäh - ganz im Gegenteil! Kurzum: Fleisch entwickelt erst mit der Zeit Geschmack und Charakter. Unter Fleischkennern ist die alte Milchkuh mittlerweile auch in Deutschland ein kleiner Trendsetter geworden. Aber Zeit hat ihren Preis. Und den ist nicht jeder gewillt für Geschmack zu bezahlen.
Wer Fleisch lediglich als Proteinquelle sieht, die nebenbei noch satt macht, dem tut der Kauf vom Jungbullenfleisch nicht weh (auch wenn er sich fragen sollte, wie derartig niedrige Preise überhaupt zustande kommen können…). Kulinarische Genießer und Fleischkenner werden dagegen allerdings nur die Nase rümpfen und lieber mal ein bisschen tiefer in die Tasche greifen. Denn Qualität hat ihren Preis und beim Fleisch schmeckt man es.